Vorweg: Neben der TCM / Akupunktur ist die Manuelle Medizin meine große Leidenschaft. Die Ohrakupunktur ist für mich
die Brücke dazwischen.
Über die Jahre habe ich mein eigenes Konzept der Verbindung dieser wunderbaren Therapiemethoden entwickelt. Dieses möchte
ich anhand des folgenden Fallbeispiels schildern, das für mich so etwas wie eine „Initialzündung” war.
Ich möchte zum einen dazu ermuntern, die (Ohr-)Akupunktur bei Wirbel- und Gelenk-blockierungen anzuwenden. Zum zweiten hoffe
ich auf Kritik und Austausch mit Kollegen, die ebenfalls Akupunktur und Manuelle Medizin verbinden.
Fallbeispiel:
Eine junge Frau kommt wegen „Migräne” in meine Behandlung.
Die Art ihrer Beschwerden lassen an eine Blockierung der oberen HWS denken. Tatsächlich hat sie eine Blockierung von C1 (C1+li), wird deblockiert und ist beschwerdefrei. Nicht für lange. Rezidive treten schnell auf. Die Ursache dafür ist ein Fehlbiss mit asymmetrischer Belastung von Kau- und Halsmuskulatur, also CMD (Craniomandibuläre Dysfunktion). Eine Zusammenarbeit mit einem Kieferorthopäden mit entsprechender Schienenversorgung wird gebahnt und bringt den Durchbruch in einer jahrelangen Krankheitsgeschichte mit diversen Arztbesuchen und reichlichem Medikamentenkonsum. Die Rezidive werden deutlich seltener, ich sehe die Patientin noch alle 4-8 Wochen, zur Deblockierung der rezidivierenden Atlasfehlstellung. Sie ist weiterhin in kieferorthopädischer Mitbehandlung.
Ich bin begeisterter Manualtherapeut, neben der TCM/Akupunktur meine zweite große Leidenschaft in der Medizin. Die Erfolge beflügeln. - Eines Tages kommt mir der Gedanke „Was hast du eigentlich vor der Manuellen Ausbildung mit solchen Patienten gemacht? Da warst du doch auch erfolgreich.” Die Antwort: Im Wesentlichen Akupunktur! - Ich beschließe im Stillen, beim nächsten Termin diese Patientin erst mit Akupunktur zu behandeln:
Befund: Kopfschmerz „wie Kater nach zu viel Alkohol”, leichter ungerichteter Schwindel, Rotationseinschränkung nach links in Inklination der HWS, Druckschmerz über Atlas-Querfortsatz rechts und rechts direkt paramedian an occipito-cervicalem Übergang, Myogelosen in Sternocleidomastoideus, Trapezius und Levator scapulae rechts > links. (Patientin von zartem Körperbau, blass, emotional gebremst bei langwährendem Konflikt am Arbeitsplatz (mangelnde Wertschätzung). Zunge schmal, blass, besonders Ränder, etwas Zungengrundstau. Pulse langsam, wenig gefüllt, in Tiefe gespannt.)
Behandlung: Ich wähle das rechte Ohr (Seite der Blockierung), nadle auf der Anthelix den Übergang zum Antitragus (entsprechend C1), Polster, 29b, Kiefergelenk sowie am Körper Yintang (Ex-KH 3) und Gb 21 bds.
Nach der Akupunktur prüfe ich nochmal die Funktion der oberen HWS: die Blockierung ist gelöst, manuelle Deblockierung nicht mehr notwendig! Ich bin verblüfft. Und auch ernüchtert. Manuelle Medizin ist halt EINE Möglichkeit der Behandlung!
Mein Konzept der Punkte-Auswahl:
Vorweg: Ohr-Akupunktur habe ich praktisch autodidaktisch gelernt, im Wesentlichen durch die Lektüre von Günter Langes Buch „Akupunktur der Ohrmuschel”. Gefestigt wurde dies in der DÄGfA durch Axel Rubachs Kurse, den Feinschliff erhielt ich durch die Rückmeldungen meiner Patienten und Austausch mit Kollegen. Ich lerne täglich dazu.
- Grundsätzlich sehe ich mir die Ohrmuscheln sehr genau an, besonders, was Aufquellungen, Kerben, Grübchen, Äderchen u.a. angeht. Insbesondere bei chronischen Bildern sind das wichtige Hinweise.
- Die Ohrmuschel gilt als Topographie des ganzen Organismus, die Anthelix repräsentiert die Wirbelsäule. Dort stelle ich den segmentalen Bezug her und nadle auf dem „Behandlungsstrahl” an Punkten in der „Rinne” oder über den Wirbelkörpern, je nach individueller Reaktion.
- Entsprechend der Manuellen Medizin (Muskel-Funktions-Ketten, Verkettungssyndrome, Verbindung zu inneren Organen) werden weitere Punkte gemäß der Topographie ausgewählt (Fallbeispiel: Kiefergelenk).
- Punkte mit bestimmten Funktionen:
- allg. beruhigend (55, Veg. I u. II)
- muskelrelaxierend (29b)
- schmerzlindernd (Thalamus, graue Substanz, ACTH)
- psychotrope Punkte
In der Regel nadel ich die Ohrmuschel der Körperseite, die die Blockierung aufweist. Die genaue Punktauswahl erfolgt häufig intuitiv, die exakte Lokalisation geschieht durch Druck mit dem stumpfen Ende der Nadel oder mit Hilfe des Stiftes von Svesa (Drucktestung sowie optisch gemäß Änderung des Hautwiderstandes).
- Aus der Körper-Akupunktur kommen zum Einsatz:
- Lokale Punkte (Ah-Shi; z. B. Myogelosen entsprechend)
- Segmentale Punkte (palpieren! z.B. Hua-Tuo)
- Regionale Punkte (hier: GB 21)
- Meridian-bezogene Punkte (z. B. Di 10)
- Fernpunkte (z.B. Lu 7 – Nacken, Bl 10 als Meridian-Fernpunkt)
- Allgemein vegetativ ausgleichende Punkte: Du 20, hier: Yintang
- Entsprechend den AOLB (außerordentliche Leitbahnen): z.B. GB 41 – 3E 5)
- Gemäß der ZangFu-Lehre: z. B. Blut-Mangel: Ma 36, Mi 6, Bl 17 oder Le-Qi-Stagnation: Le 3
- Letztlich das volle Programm einer guten, individuell angepassten Akupunktur, zugegeben mit einer gewissen Portion Intuition.
Schlussfolgerung:
Akupunktur und Manuelle Medizin ergänzen sich in idealer Weise.
Ich prüfe gern nach der Akupunktur, ob die vorher festgestellte Blockierung noch vorhanden ist. Und erlebe häufig, dass sie gelöst ist! Oder sich im Anschluss sehr leicht löst, häufig schon bei der Lagerung zur manuellen Technik oder beim Ansetzen des „Probezugs”, oder nur einen minimalen Impuls erfordert, quasi einen sehr sanften Schubs mit der Fingerbeere.
Ich kann zusammenfassend sagen: die Akupunktur ist die ideale Kombination zur Manuellen Medizin! Und da bediene ich mich besonders gern der Ohrakupunktur, arbeite segmental (über den „Behandlungsstrahl”) plus Punkte zur Entspannung von Geist und Muskulatur, psychotrope Punkte, plus regionale oder meridianbezogene Punkte der Körperakupunktur.
Korrespondenzadresse:
„Praxis op de Deel”
Dr. med. Hannes Hunger
Brucher Weg 13
28790 Schwanewede-Aschwarden
Email:
Facharzt für Allgemeinmedizin, Zusatzbezeichnungen: Akupunktur, Manuelle Medizin, Naturheilverfahren. Akupunkturausbildung Ende der 1980er Jahre bei Radha Thambirajah, später in vielen DÄGfA-Kursen, Anwendung der Akupunktur ab 1991 täglich in eigener Praxis, zunächst bis 2007 als Hausarzt in Bremen, anschließend privatärztlich, seit 2011 in Aschwarden.
Erschienen in
Deutsche Zeitschrift für Akupunktur (DZA) , 56. Jahrgang, 1/2013, Seite 30-31
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